Von den meisten 0815-Restaurants bin ich es mir gewohnt, an einen fix für mich reservierten Tisch platziert zu werden. Befindet sich dieser dann halt gleich neben dem Putzkasten oder besser noch direkt neben der Toilette, kann man sich sein romantisches Dinner zu zweit dann ans Bein streichen. Mit der Begründung, dass alle anderen Plätze leider eben auch schon vergeben wären, muss man sich dann halt wohl oder übel zufrieden geben. Nicht so aber in einem der besten Restaurants, welches das Bieler Seeufer zu bieten hat.
So wird uns beim Betreten des mit Zertifikat ausgezeichneten Lokals nicht nur ein Tisch drinnen wie draussen freigehalten, sondern sogar noch die Vorzüge unserer Wahl von zwei unterschiedlichen Tischgruppen erläutert. Wir entscheiden uns für die ruhigere, aber nicht minderschöne Platzierung in der Mitte der grossen Terrasse. Wie der Name es verspricht, geniesst man nämlich auch von da aus einen unverbauten Blick über fast den gesamten See. Umgeben von blühendem Oleander, etlichen Palmen und den harmonisch zum Gebäude passenden, pastellgelben Tischtüchern, fühlen wir uns ein klein wenig wie in den Ferien.
Das im toskanischen Stil mit viel indirektem Licht und weissen Säulen erbaute Restaurant, stellt nicht nur mit seinem Ambiente so manchen Mitbewerber um den See in den Schatten, sondern auch mit dem stimmigen Essen und dem dazu sehr gut geschulten Personal. So wird einem hier das Glas nicht, wie zum Beispiel in amerikanischen Restaurants, mit Eiswürfeln unaufgefordert überhäuft, sondern diese im separaten Glas beigestellt. Zum Essen versteht es sich offenbar von selbst, dass einem hier jedes vorbeigehende Servicemitglied einen guten Appetit wünscht. Klar, dass hier auch jeder noch so mühsame oder herausfordernde Extra-Wunsch möglichst versucht wird für den Gast in Erfüllung gehen zu lassen.
Langsam lassen wir unseren Blick über den See, den Berner Jura mit seinen darunterliegenden Rebbergen und die dahinter untergehende Sonne schweifen. Selbst wenn sämtliche „Engeli“ am backen gewesen wären, Petrus sich von seiner besten, kreativen Seite hätte zeigen wollen und auch noch Frau Holle ihre Finger mit im Spiel gehabt hätte, wäre ein solch kitschig-schönes Abendrot wie dieses hier wohl kaum gelungen. Ein Naturspektakel, wie es sich im Bieler Seeland vor allem bei leicht bewölktem Himmel des Öfteren zeigt.
Ein knurrender Magen lässt uns unsere Blicke vom Himmel zurück auf die Karte schwenken. Nebst Egli, Zander und Felchen in diversen Variationen, bietet diese auch ein vorzügliches, aber gleichzeitig nicht überfülltes, Angebot für Vegetarier und Fleischfresser. Ob das hauchdünn geschnittene Rinds-Carpaccio oder das grosszügig angerichtete Fisch-Menü für CHF47.-, sie unterstreichen den Wert, welchen man hier offensichtlich auf frische Zutaten legt. Die dazu passende Weinkarte mit auserlesenem Wein aus der Region und darüber hinaus, rundet das Angebot ab. Ein Glück, ist man in diesem Restaurant offenbar so von seinem Weinangebot angetan, dass man dieses bereits in Süppchen-Form geniessen kann. Ein vorzügliches, cremiges Töpfchen, in welchem der Weingeschmack spürbar den sonnenverwöhnten Trauben und nicht einer billigen Armomamischung aus dem Labor entsprungen ist. Und auch der darauf folgende Fleischspiess „Seeblick“ aus Rindshuft und Gemüse enttäuscht in keiner Weise. Hin und weg bin ich von den als Beilage servierten Zwiebelringen. Was sonst als schlabberiges, zähes Würmchen beim ersten Bissen in einem Stück aus seiner Hülle gezogen werden muss, ist hier in knuspriger Ummantelung eine wahre Wohltat. So lässt sich das Ringli Stück für Stück als Gesamtwerk aus Gemüse und Frittiertem geniessen. So, wie es eben sein soll. Daneben runden die gut, aber nicht überwürzten Country Fries diesen Hauptgang mit der dunklen Rauchsauce ab.
Mein persönliches Highlight des Abends bietet aber auch diesmal wieder die obligate, weisse und schwarze Schokoladen-Mousse. So manchen Velofahrer, welcher die liebliche Landschaft rund um das Drei-Seenland erkundet hat, hat dieses vortreffliche Dessert wohl schon vor einer Unterzuckerung bewahrt. Ist diese Schoggi-Mousse nach einem solch geglückten Abend nicht zu viel des Guten? „Ja.“ Wäre es nicht klüger mit vollem Magen aufzuhören bevor man platzt? „Aber sicher doch.“ Und ist diese Schoko-Mousse nicht eine einzige, riesige Kalorien-Bombe? „Aber hallo!“ Und trotzdem lohnt es sich definitiv dem Restaurant Seeblick schon nur deswegen einen Besuch abzustatten.

