Fragend starren wir uns gegenseitig in unsere Gesichter. Wir stehen im wuseligen Getümmel einer Marokkanischen Seitenstrasse mit einem Hauch an Ratlosigkeit und einer Wegeschreibung mit einer offensichtlich falschen Adresse in der Hand. Wie zum Henker sollten wir jetzt noch zu diesem viel umschwärmten Restaurant gelangen..?
Ich bin froh, an diesem Abend ohne männliche Begleitung unterwegs zu sein. Hätte diese ihrem Gender gerecht den Stadtplan mindestens zweimal nach allen 4 Himmelsrichtungen ausgerichtet, tut meine Kollegin ohne lange zu zögern das, was wir Frauen in akuter Orientierungsnot eben mal so tun, und fragt nach dem Weg.
Wie ein eben aus der Lampe entwichene Genie, stürzt so gleich ein hilfsbereiter Ladenbesitzer zwischen seinen geschätzten 1000 Ledertaschen hervor und führt uns zielstrebig vor eine herkömmliche Eingangstür eines orientalischen Wohnhauses. Ebenso flink, wie uns unser lokaler GPS-Ersatz vor dieser Tür abgestellt hat, so flink ist dieser auch schon wieder in der Dunkelheit verschwunden..
Fragend starren sich sechs Frauen wieder gegenseitig in ihre Gesichter. Hinter dieser Tür sollen ein Schwede und eine Schweizerin ihr Lokal bewirtschaften? Kein Wegweiser, kein Schild, kein Willkommens-Fussabtreter, kein Garnichts. Nicht mal Nachbaren scheint dieses enge Gässchen zu beherbergen. Wir scheinen wirklich im hintersten Ecken Marrakeschs angekommen zu sein. So langsam beginnen wir an unserem klaren Verstand zu zweifeln: sechs Frauen, ganz alleine in einem fremden Land, ihr Leben irgendeinem Strassenhändler anvertraut und in einer Gasse abgestellt.. Ja sind wir denn von allen guten Geistern verlassen??
Aber sind wir schon mal in dieser Sackgasse angekommen, wagen wir es mit dem schweren Eisenring dann doch mal an die Tür zu klopfen. Langsam öffnet sich das Tor und das amüsierte Gesicht einer jungen, marokkanischen Lady lächelt uns entgegen. „Est-ce que c’est le Riad Enija?“, bringen wir mit dem bemerkenswertesten français fédéral, das wir zu bieten haben, gerade noch zu unserem Besten. „Oui, oui. bienvenue.“, gibt es von der anderen Seite zurück. Soviel haben wir gerade noch verstanden und treten ein. Ein auf den ersten Blick endloser, schmaler Gang erstreckt sich nun geradewegs vor uns. Erfolglos suchen meine Augen den komplett leeren Gang nach einem für uns reservierten Tisch ab. „Unbedingt vorreservieren sollte man dieses Restaurant!“, so heisst es und ich frage mich ob uns heute Abend wohl der Fussboden in der linken oder in der rechten Ecke des Raumes gehörte.. „Na ja, andere Länder, andere Sitten“, rufe ich mir in Erinnerung und trete durch die nächste Tür in den darauf folgenden Raum. Das heisst.., wo ist der Raum?! Als wäre ich soeben durch diese Tür in den Garden Eden getreten, befinde ich mich am Anfang eines grossen, tropisch angelegten Gartens. Zeitgleich fallen uns Mädels die Kiefer herunter. Mit einem derart schönen Innenhof hätte von aussen wohl niemand gerechnet. Palmen, Farne und in der Mitte des quadratischen, von Säulen gesäumten Platzes, ein mit Blumen gefüllter Brunnen. Für einen Moment stehe ich einfach nur da und lausche der ungewohnten Stille. Verdutzt bestaunen wir, in diesem in der Tat aussergewöhnlichen Restaurant, den freien Sternenhimmel über uns. Geduldig steht unsere marokkanische Lady nach wie vor neben uns und scheint sich den Anblick von völlig hingerissenen Touristen offenbar gewohnt zu sein.
Nachdem wir uns wieder einigermassen gefangen haben, folgen wir ihr dann also durch einen weiteren Flur zurück ins Gebäude. Der von steinernen Säulen durchtrennte Saal ist für nur wenige Tische ausgelegt. Die gewölbte Decke des Raumes erinnert an einen alten Weinkeller. Die wenigen Kerzen und das neben uns knisternde Kaminfeuer schaffen eine enorme Behaglichkeit und tauchen das Restaurant in ein warmes Licht. Es dauert nicht lange, da stellt sich uns unser Kellner des Abends vor. Stolz an diesem Platz arbeiten zu dürfen, stellt er mit seiner äusserst zuvorkommenden Art unter Beweis, dass dies hier für ihn mehr ist als nur ein Job. Entzückt lasse ich mich auf einen der Sessel nieder und lasse die orientalische Atmosphäre auf mich wirken.
Eine leckere Gemüse-Surprise wird uns zu Beginn als Gruss aus der Küche serviert, optisch von einem europäischen Feinschmecker-Lokal kaum zu unterscheiden. Und wer glaubt in einem muslimischen Land keinen Alkohol zu bekommen, der irrt sich da aber gewaltig. So bestellen wir eine Flasche vom empfohlenen Rotwein und staunen über das darin enthaltene Bouquet nicht schlecht. Warum sich dieser Wein, nicht auch bei uns in den Regalen häufiger sehen lässt, ist mir ein Rätsel.
Der zweite Gang, er folgt so gleich. Als Vorspeise wird uns ein selbstgemachtes, pikantes Kürbissüppchen serviert. Kürbis? Das wächst doch bei uns im Schweizer Garten? Ja genau, von diesem gesunden Gemüse ist hier die Rede. Vielleicht macht gerade diese Mischung aus leckerer, lokaler Kost und bekannter, europäischer Küche dieses Restaurant so beliebt. Die beiden Besitzer mit europäischen Wurzeln, haben sich da sicherlich etwas überlegt. Als traditionelle Krönung unseres Besuches muss natürlich in unserem vorbestellten 4-Gänge-Menü eine Tajine her. Eine Tajine ist im Auge eines Laien ein hübsches, meist lehmbraunes Hütchen mit einem ähnlichen Show-Effekt wie unsere silbern-glänzenden Service-Gloschen in den 5-Sterne Gourmet-Tempeln. Für die marokkanische Küche jedoch ist die Tajin die Kuhn Rikon unter den Kochtöpfen und für gut durchgegartes Essen von Gemüse, über Huhn, bis zum Rind über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Mittlerweile gibt es das traditionelle Koch- und Anrichtegeschirr in allen möglichen Mustern und Farben und ist auf praktisch jedem Souvenir-Markt zu Abertausenden vertreten.
Den Eintopf aus frischem Marktgemüse und lokalen Wurzeln umgibt das zartgekochte Zitronen-Hähnchen, welches liebevoll mit den zahlreichen, einheimischen Gewürzen verfeinert wurde. Dies zusammen mit der Vorstellung, in was für einem tollen Gemäuer man sich hier befindet, macht diesen Abend perfekt. Jeder Bissen erinnert an ein orientalisches Märchen. Zwar würden solche Schmorgerichte, wie man sich das leicht vorstellen kann, keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, da der Inhalt meist bereits vor dem ersten Herumwühlen eher an ein Schlachtfeld erinnert, aber darum geht es ja nicht.
Unser persönlicher Begleiter des Abends präsentiert uns seine letzte Spezialität mit einer verführerisch klingenden Umschreibung. Aus seinem Munde klingen die französischen Phrasen wie ein Gedicht. Ein Gedicht, welches ich in seinen einzelnen Worten zwar nicht verstanden habe, aber der Anblick, der sich mir darauf hin offenbart, spricht zum Glück ebenfalls Bände. Übersetzt schien dies für mich zu bedeuten: „Vor ihnen befindet sich ein wahrer Berg von Granatapfelkernen, wie sie es noch nie in einem anderen Restaurant gesehen haben. Gemischt mit einem vorzüglichen Natur-Joghurt. Leicht und bekömmlich.“ Ja, ungefähr das, muss das wohl bedeutet haben.
Noch lange soll uns dieser krönende Abschluss in Erinnerung bleiben. Und als wir wieder zurück durch die engen Gässchen Richtung Hotel schlendern, wird uns plötzlich bewusst, dass diese verwinkelten Gassen, doch ihr Gutes hatten. Obwohl sie uns um ein Haar den Zutritt zu diesem Riad verunmöglicht hatten, trugen sie doch dazu bei, dass das Enija auch heute immer noch ein Geheimtipp Marrakesch’s ist. Ein Geheimtipp eben wie aus Tausend und einer Nacht.
Top Charming Riad, luxury Guest House And Hotel In Marrakesh Medina, Morocco. Travel for a luxury holidays in Marrakesh (riadenija.com)

