Wien – wer diese Stadt kennt, der weiss, die von Touristenattraktionen verwöhnte Stadt hegt und pflegt die Geschichte ihrer einstigen Monarchen, ihre prunkvollen, architektonischen Meisterwerke und die währschafte, traditionelle Küche, wie sogar Franz Josef sie liebte, wie keine zweite. Dass die Wiener ihre einheimischen Klassiker in der Küche beherrschen, ist glasklar. Kein noch so gutbürgerliches Lokal – oft noch mit Raucher Stüberl – bringt ein schlechtes Wiener Schnitzel (traditionell mit Vogerlsalat statt Pommes – wie ich mich habe belehren lassen) oder miserables Backhendl zustande. Wo aber soll man hingehen, wenn man nach dem 3. Tafelspitz seinem Magen dann doch wieder mal eine etwas leichtere Küche gönnen will?
Längst hat sich die geschichtsträchtige Sissi-Stadt mit den stilechten Kaffeehäusern zu einer immer trendigeren Eurometropole gemausert. So schiessen die originellsten Startups von Jungunternehmern wie Pilze aus dem Boden, Allergiker-freundliche Kost ist schon lange keine Seltenheit mehr und schmucke kleine, u.a. auch vegane Lokale verhelfen dieser Stadt immer mehr zu einem jugendlichen Anstrich. Eines dieser aussergewöhnlichen Szenelokale repräsentiert in seiner vollendetsten Form das „Motto am Fluss“. Schon nur die Location des langgezogenen Restaurants direkt überhalb der Bootsanlegestege lässt erahnen, dass sich hinter dieser Glasfront etwas ganz Spezielles verbirgt. Beim betreten der neumodischen Architektur fühlt man sich, entgegen meiner Vermutung, jedoch nicht in einem futuristischen, kalten Ambiente, als vielmehr im Innern eines behaglichen Holzbootes mit hochglänzenden Tischen und Wänden.
Für Freunde des geselligen Zusammenseins lässt es sich an der langen Bar gegenüber des Eingangs ein Gläschen oder zwei vor dem Dinner einnehmen. Unbedingt sollte der vom Haus empfohlene, orange-farbene Drink als Aperitif probiert werden. Der Mix aus Aperol, Gin und gefühlten 100 weiteren Geschmäckern ist ein wahrer Getränke-Hit und stellt so manchen langweiligen Aperol-Spritz ins Abseits. Aber wohl dem, der in diesem Lokal nicht zu tief ins Glas geschaut hat. Mit etwas zu viel Promille im Blut und einem Bisschen Phantasie können diese ohnehin schon schiefen Fensterschreiben und teils gar schiefen Wände auf einen schon ganz schön furchteinflössend wirken. So werden die grossen, silbernen Kugellampen zu menschenfressenden Riesen-Weihnachtskugeln und die Kerzchen auf dem netten, weissen Kunstbäumchen hinter der Bar zu gespenstisch tanzenden Glühwürmchen mutieren. Der schachbrettartige Fussboden ist dabei den Besoffenen keine grosse Hilfe. Selbst wenn sich ein halbwegs Betrunkener in seiner misslichen Lage versuchen sollte auf die Toilette zu retten, so ist dieser selbst auf dem stillen Örtchen leider von diesen schrägen Wänden nicht sicher.
Zum Glück konnten wir den unzähligen Flaschen hinter der Bar aber dann doch widerstehen. Mit gut durchtränktem Magen sind wir nun aber gespannt, ob es sich auf den verschiedenfarbigen Polstermöbeln denn nun auch so gut essen, wie sitzen lässt und schenken unserem Platzanweiser unser schönstes Lächeln.
Als würde der Kellner am Empfang sich selber gerade unheimlich für uns freuen, dass er uns einen der Zweiertische direkt am Fenster anbieten kann, bittet uns dieser ihm zu folgen. Nun offenbart sich vor mir das wahre Highlight dieses Restaurants: Die einzigartige Aussicht! Ist die Sicht auf Türmchen und Kirchchen in dieser Stadt längst nicht mehr ungewohnt, so erachte ich es doch noch als speziell, direkt neben der reissenden Donau meine Kiemen zu füllen. Direkt unter uns haben sich drei Touristenboote zu ihrer verdienten Nachtruhe (hin-)/angelegt. Mit Sicht auf die Donau, den kunstvollen Graffitis und den blau und rot beleuchteten Brücken, lässt es sich sensationell auf den bevorstehenden Abendschmaus einstimmen, während die Einheimischen an der Uferpromenade ihre Joggingrunden drehen. „Einer muss das ja essen“, denke ich mir und tätschle dabei schuldbewusst auf mein immer noch mit Rostbraten vom gestrigen Abend gefülltes Bäuchchen. Diesmal soll es aber die etwas leichtere Variante sein und so bestelle ich mir den rohmarinierten Thunfisch mit geräucherter Kartoffelcrème und zur Hauptspeise den Wolfsbarsch mit Romanesco und Portulak.
Es dauert keine Minute und das Brot mit zweierlei Aufstrich steht auf unserem Tisch. Hier wird die moderne Küche atypisch zu der sonst so österreichischen, währschaften Küche neu interpretiert. Vereinzelnd auf Tellern mit hübschem Steinrand angerichtet, lassen sich die Speisen in einem ganz anderen Licht präsentieren. Die Qualität der regionalen, biologischen Gerichte – ein Traum.
Auf den Polstermöbeln sitzt und isst es sich im Übrigen also besonders gut. Und nicht nur die umliegenden Wände scheinen zu glänzen, auch das ausschliesslich junge Personal bietet eine wahre Glanzleistung. Mit der gewohnten, österreichischen Gastfreundschaft wird uns beinahe jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Obwohl hier jeder seinem klaren Tätigkeitsbereich zugewiesen zu sein scheint, geht hier keiner an unserem Tisch vorbei, ehe er einen Mangel behoben oder etwas Frisches hinzugestellt hat. Zwar zahlt man hier gewiss ein paar Euro mehr als anderswo in der Stadt, erhält dafür aber wirklich ein absolut stimmiges Gesamtpaket geboten.
Summa summarum: Das Motto am Fluss – das falsche Motto für feuchtfröhliche Aussetzer – aber der absolut richtige Ort für stylisches Essen.

